Symposium: Junger Dokumentarfilm - zwischen Ausbildung und Markt
„ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST.”
06. - 08. Juni 2002, Köln
Tagungsbericht
von Susann Schimk
Synopsis der Hochschulen
Tagungsbericht
150 Teilnehmer besuchten das Symposium "Junger Dokumentarfilm" im Kölner Filmhaus, veranstaltet von der Dokumentarfilminitiative (dfi) im Filmbüro NW und dem Haus des Dokumentarfilms, Stuttgart. Mit der "Achtung vor dem Geheimnis des anderen" - mit diesem Zitat von Thomas Mann beschrieb Jan Bosse von der HFF München seine Haltung zum dokumentarischen Arbeiten - trafen sich die Parteien: Studenten und Absolventen der großen Filmhochschulen in Deutschland, deren Professoren und Dozenten sowie Redakteure, Produzenten und Filmförderer.
Die gezeigten Dokumentarfilme waren allesamt aktuelle, zum Teil ganz neue Produktionen der Hochschule für Fernsehen und Film München, der Kunsthochschule für Medien Köln, der Fachhochschule Dortmund, der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg, der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und der Filmakademie Baden-Württemberg. Das Spektrum reichte vom kurzen über das mittlere zum langen Format (vgl. auch Filmliste auf dieser Internetseite).
Auffallend: die langen Dokumentationen waren, bis auf eine Ausnahme, durch eine Sendeanstalt (der Filmredaktion von 3sat /ZDF oder der Redaktion Das Kleine Fernsehspiel im ZDF) koproduziert und die meisten der Filme konnten auf eine erfolgreiche Aufführung bei Festivals, auf Preise oder Sendetermine verweisen.
Im Anschluß an die Filmvorführungen beschrieben die studentischen Macher und Absolventen - engagiert wie eigensinnig - ihre individuellen Erfahrungen mit der Entstehung ihrer Filme. Sie bewerteten in "Erfahrungsberichten" ihre Ausbildung und suchten den Blick in die Zukunft. In der Diskussion machten sie deutlich, dass sie die Möglichkeit schätzen, aus ihrer eigenen, unmittelbaren Realität und Perspektive erzählen können. Ihre Themen entdecken sie durch Neugierde und Bewegung. Die digitalen Produktionsmittel nutzen sie für eine unabhängigere Gestaltung und für sensible Beobachtung. Sie belichten mit der kostengünstig zu handhabenden Kamera mehr Material, entscheiden erst später im Schneideraum den konzeptionellen Aufbau ihres Films. Zudem beschrieben sie den Trend, durch weniger Technik mobiler arbeiten zu können. (Gerade zu dieser Arbeitsweise äußerten sich die Filmprofessoren später kritisch, es "werde vorher zu wenig konzeptionell gearbeitet"). Es war auffällig, dass sich die jungen Filmemacher nicht auf ein bestimmtes Genre festlegten. Sie wollen und trauen sich zu, zukünftig sowohl im fiktionalen als auch im dokumentarischen Bereich zu arbeiten und die Hochschulen bereiten die Studierenden darauf vor, Filme in beiden Bereichen drehen zu können.
Feststellbar ist: Dokumentarfilm ist beliebt. Die gezeigten Filme waren mit ihren unterschiedlichen Entstehungsgeschichten, Themen und Ansprüchen mehr als sehenswert. Die Studenten schätzten die individuellen Möglichkeiten und Freiheiten innerhalb ihrer Ausbildung. Das Bekenntnis ein Dokumentarist zu sein, fiel hingegen schwer, die Unsicherheit über die eigene Zukunft und das Wissen um die Nischenexistenz des langen Dokumentarfilms mag dafür ausschlaggebend sein.
Die Betreuung an den jeweiligen Hochschulen bewerteten sie sehr unterschiedlich. Die Studierenden forderten von ihren Dozenten mehr Aufklärung über den Markt und seine Bedingungen und wünschten sich mehr Hilfestellung bei der Vermittlung an die Branche.
Zur Diskussion über "Die Dokumentarfilmausbildung an den deutschen Filmhochschulen" am zweiten Tag des Symposiums trafen sich Vertreter der Filmhochschulen auf dem Podium: Prof. Thomas Schadt (Filmakademie Ludwigsburg), Prof. Reinhard Hauff (dffb Berlin), Prof. Hans Beller (KHM Köln), Prof. Klaus Schreyer (HFF München), die Geschäftsführerin der neu gegründeten Internationalen Filmhochschule Köln, Simone Stewens, sowie die Leiterin des Studienbereichs Film und Video an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich, Prof. Margit Eschenbach. Ihre Ausführungen bewiesen, dass die Ausbildungsangebote und -inhalte zum Dokumentarfilm an den Hochschulen vielfältiger geworden sind (vgl. auch Synopse der Dokumentarfilmausbildung an den Filmhochschulen auf dieser Internetseite).
Im Mittelpunkt der Debatte des "Hochschulpanels" stand die Frage, welches Persönlichkeitsprofil des Nachwuchs ausgewählt und gefördert werden soll. Heraus kam ein Potpourri aus "Wettbewerb der Begabten", "anpassungsresistente Studenten", "überlebensfähige Dokumentarfilmer", "individuelle Talente", "neugierige Leute mit Erkenntnisinteresse" und in jedem Fall "Menschen ohne Beliebigkeit".
Erstaunlicherweise wünschten sich die Ausbilder von den Kreativen, dass sie aufmüpfige Rebellen mit sprudelnden Ideen und gleichzeitig an die Anforderungen der Sender und des Marktes angepasst seien.
Die Ausbildung sollte ihrer Meinung nach zweierlei leisten: Einerseits Kenntnisse über Markt und Handwerk vermitteln, was neben den Fertigkeiten auch eine Form von sanfter Anpassung an eben diesen Markt und seine Bedingungen erfordert, ohne dabei das eigene Anliegen zu verraten und andererseits sollen, dem entgegenlaufend, Phantasie und Individualität gefördert werden. "Spagat" war dann auch ein Schlüsselwort dieser Diskussion.
Im einzigen Vortrag des Symposiums klärte der Medienjournalist Fritz Wolf aufschlussreich über das derzeitige dokumentarische Sendeplatz-Volumen im deutschen Fernsehen auf.
Folgende Trends werden sichtbar:
Die Referierenden schlossen sich den Erkenntnissen von Fritz Wolf an: Dem Dokumentarfilm gehe es besser denn je, nur die Gestaltungsformen hätten sich verändert. Es werde tendenziell mehr inszeniert und kürzer erzählt. Das Thema sei entscheidendes Vergabekriterium für Aufträge und nicht der Autor und seine Handschrift. Quoten und Zuschauerzahlen sind für einige von ihnen, als Vertreter ihrer Sender, wichtiges Kriterium für die Stellung des Dokumentarfilms im Fernsehen.
Die Erfahrungen von Redakteuren und Produzenten mit den heutigen Absolventen und Hochschulen lautete: Sie sind heute näher am Markt, aber sie besitzen keine ausreichende Marktkenntnis.
Die Redaktionen besuchen die jährlichen "Showcases", die "Redakteurstage", die "Filmmessen" oder die "Highlights" an den Hochschulen und lernen so den Nachwuchs für eine gemeinsame Zusammenarbeit kennen. Aus diesem Kennenlernen ergibt sich mitunter mehr, das zeigten einige, wenige Beispiele.
RESÜMEE:
Das Symposium schaffte einen notwendigen Austausch aller Beteiligten. Gesucht wurde ein gemeinsamer Nenner, der die vom Markt diktierte Anpassung an die Sehgewohnheiten, bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Identität als Filmemacher ermöglicht. Zwischen den freien Möglichkeiten des "Kleinen Fernsehspiel" und den festgelegten Formaten muss jeder Dokumentarfilmer seinen Platz erkämpfen.
Das Symposium bot eine Bestandsaufnahme zur derzeitigen Situation von Nachwuchs und seinen Marktchancen. Diese Momentaufnahme zeigte, das Interesse an den Absolventen und deren Existenz auf dem freien Markt ist vorhanden. Erstlings- und Debütfilme finden derzeit leichter Realisierungsmöglichkeiten durch vielfältige Nachwuchsförderungen. Die eigentliche Problematik wird in der zukünftigen, stetigen Chance der Filmproduktion der jetzigen Absolventen gesehen.
Ein Ergebnis für die Aufgaben der Hochschulen lautete: Es liegt im Interesse der Lehrenden, die kreative Haltung ihrer Studierenden durch die größtmögliche Freiheit und ein Angebot zu unterstützen, dass die Entwicklung einer eigenen Handschrift, eigener Gestaltungsformen und eigener Themen möglich macht. Von den jungen Filmemachern wird viel verlangt, aber sie wollen sich nicht festlegen lassen. Der Nachwuchs wünscht keine Hilfestellung durch feststehende Formate und gleichzeitig wissen sie, sie sind im professionellen Fernsehgeschäft darauf angewiesen.
Dass das Mehr an Ausbildung in den letzten Jahren zu einer Übersättigung des Marktes mit jungen Filmemachern geführt hat wurde leider nicht thematisiert, schwebte aber wie eine bedrückende graue Wolke über der Veranstaltung. (Werner Dütsch, WDR: "Auf eine Zusage muss ich zwangsläufig zehn Absagen schreiben") Gerade deswegen war eine Versammlung wie diese nötig, auch dann, wenn sie zuweilen Erkenntnis von banaler Brutalität liefert: "Alle finden ‚arte' oder ‚3sat' gut und wollen dafür arbeiten, aber keiner guckt".
Verlaufen Symposien gut, so wie dieses Mal, dann hängen alle dem Gesagten noch auf ihrer Heimreise nach und freuen sich. Die Freude kann grundlos sein, wegen vieler Desillusionierungen in diesen drei Tagen, sie kann sich aber auch daran messen, das da doch ein bisschen Euphorie im Spiel war, der gemeinsame Nenner, er lebt!
Susann Schimk ist Absolventin des Studiengangs Produktion der HFF Potsdam-Babelsberg. Sie arbeitet als Produzentin und ist Geschäftsführerin der credofilm gmbh in Berlin. Sie hat u.a. folgende Filme produziert: "Go to shanghai"; "Hase & Igel", "innen aussen mongolei", "Die Banditen", "7 Brüder", "Wir".