Sprache und Sprechen im Dokumentarfilm
DIE KUNST DES FRAGENS, DIE KUNST DES ZUHÖRENS oder SPRACHE ALS FILM
VON CHRISTOPH HÜBNER
Dokumentation des Symposiums vom September 2008 in Köln
Die Kunst des Fragens, die Kunst des Zuhörens oder Sprache als Film
Ich will hier sprechen von einem besonderen Fall von Sprache im Film, nämlich dem, wenn Sprache zur Handlung wird, sie selbst ist im Film. Dem Moment, wo man jemandem beim Denken zusieht, oder genauer: wo das Denken zum Sprechen wird. Wo Sprache dokumentarisch geschieht, wenn man so will.
„Talking heads“ nannte sich eine amerikanische Avantgarde-Popgruppe um den Sänger David Byrne. Sie gehören bis heute zu meinen Favoriten, ihre Musik, ihre Texte haben sich nicht verbraucht. Auf Filme bezogen hat der Begriff „Talking heads“ (Sprechende Köpfe) allerdings keinen guten Klang. „Talking heads“, ... das ist doch kein Film... das ist ja nur Sprache, nur Interview, redende Köpfe ...
Dabei gibt es Sprache und Sprache. Es gibt die Sprache als Aussage und es gibt die Sprache als Handlung. Und es gibt das Interview und das Gespräch Beides ist Sprache, beides sind - wenn man so will - talking heads, aber zugleich besteht zwischen diesen Formen in ihre Eigenart und Haltung für den Film ein himmelweiter Unterschied.
Es ist – wie so vieles - eine Frage der Form, der Haltung des Autoren. Wenn ich darüber spreche, hat das auch mit den Erfahrungen des jüngsten Films zu tun („Thomas Harlan / Wandersplitter“), bei dessen Aufführungen ich immer wieder mit der Frage nach der Eigenart des Films konfrontiert werde. Häufig wird vom Erlebnis von Sprache gesprochen.
Was ist das? Wie kann Sprache im Film zum Erlebnis, zur Erfahrung werden?
Ich habe zuvor schon eine Reihe von Filmen gemacht (u.a. die 8-teilige Filmserie „Lebens-Geschichte des Bergarbeiters Alfons S.“ oder die inzwischen 16-teilige Fernsehserie „Dokumentarisch Arbeiten“), die in der Hauptsache aus Gesprächen mit Menschen bestehen, deren Leben oder Arbeit (oder auch deren Art, zu sprechen und zu erzählen) mich interessierte.
In der Form sind diese Film sehr streng, meist beschränkt auf die Personen der Sprechenden, wenig andere Bilder, kein Kommentar, kein zusätzliches Archivmaterial. „Talking heads“, wenn man so will. Die meisten dieser Filme sind dennoch im Kino gelaufen, sind auf Festivals gezeigt worden, haben Preise gewonnen, werden von Goethe-Instituten in aller Welt gezeigt. Es muss also etwas geben, das diese Art von Filmen, von „talking heads“ von anderen unterscheidet. Grund genug - auch für mich selbst – dem Unterschied etwas mehr auf die Spur zu kommen.
Zunächst erstmal allgemein:
Sprache als Aussage und Sprache als Handlung
Im Film „Thomas Harlan / Wandersplitter“ gibt es ein eigenes Kapitel über Sprache. Darin reflektiert Thomas Harlan über die Sprache, „... die selbst will“. Man muss ihr nur folgen, vertrauen und sich überlassen. Andrerseits: „Wenn Sie Sprache nur als Mitteilung nutzen, dann ist das ein solches Verbrechen, dass es die Sprache schon nicht mehr gibt...“, meint er.
Es gibt also sehr unterschiedliche Haltungen zur Sprache. Und ebenso unterschiedliche Haltungen gibt es zur Sprache und zum Sprechen im Film.
(Ich rede hier vor allem vom dokumentarischen Film.)
Ich mag z.B. den Begriff „Interview“ nicht und spreche bei meinen Filmen lieber von „Film-Gesprächen“. Das Interview hat eine klare Hierarchie, da der Interviewer, hier der Antwortgeber. Der Antwortgeber antwortet auf die Fragen des Interviewers. Meist ist in der Art der Frage des Interviewers die Art der Antwort des Antwortgebers schon vorgegeben. Auf jede Antwort folgt die nächste Frage. Pausen, Nachdenken, Innehalten, Umwege sind im Interview in der Regel nicht vorgesehen.
Im „Gespräch“ hingegen gibt es diese Hierarchie nicht, beide Seiten begegnen sich auf Augenhöhe, sind sich Gegenüber. Beide Seiten können sich gegenseitig anregen, Gedanken können sich im Gespräch entwickeln, das Gespräch kann einen unverhofften Verlauf nehmen etc. Pausen, Umwege, verschiedene Ebenen, Persönliches, Zufälle, selbst Störungen sind ausdrücklich zugelassen. Die Sprache wird zur Handlung.
„Sprache als Handlung“ heißt, dass Sprache und Person eins sind. Sprache ist in diesem Fall Lebensäußerung und nicht nur Aussage. Sprache als Handlung heißt: gesprochene Sprache kommt in all ihren Dimensionen vor. Als Sprechen, als Nachdenken, als Erfinden oder Finden (eines Wortes, eines Satzes), als Pause, als Rhythmus, als Klang. Der Zuschauer wird zum Beteiligten eines Vorgangs (des Sprechens), eines Ereignisses - wie Denken zur Sprache wird. D.h. er ist nicht nur Zeuge einer Aussage.
„Sprache als Aussage“ hingegen heißt: es interessiert eher der Inhalt des Gesprochenen als die Sprache selbst. Sprache ist dann vor allem Medium für die Aussage. Die Person, die spricht, ist eher Zeuge und „Aussagender“ als individuell Sprechender. Die Sprache selbst mit ihrem Reichtum, ihrer Eigengesetzlichkeit interessiert weniger.
Zwei Seiten
Zum Umgang mit Sprache, zu ihrer Entfaltung im Film gehören zwei Seiten:
1. die Seite der Entstehung von Sprache, der Aufnahme, der Situation.
2. die Seite der Formgebung, der Montage, der Bearbeitung.
Beide gehören zusammen, um das, was ich hier Sprache als Handlung nenne, zur Entfaltung kommen zu lassen.
Im Folgenden geht es zunächst um das erste, um die Voraussetzungen der Entstehung von Sprache, von Sprechen im Film.
Frage und Antwort
Eine erste Spur ist sicher die Art des Fragens, der Gesprächsführung. Wenn ich aus der Sicht der Antwort darauf blicke, stellt sich die Frage: Ist die Antwort (oder das Sprechen, das der Frage folgt), etwas, die zum Hinhören auffordert, das einen eigenen Weg geht, das vielleicht überrascht, persönlich ist – oder ist es die konventionelle, die erwartete Antwort, die Antwort, die die Frage im Grunde schon kennt oder die die Frage suggeriert. Mich interessieren jedenfalls Antworten, die ich nicht schon kenne. Vielleicht interessieren mich sogar nicht einmal so sehr die Antworten als Antworten – jedenfalls im Film nicht. Was mich interessiert, ist das In-Gang-Setzen eines Nachdenkens, eines Kommunizierens vor der Kamera, das In-Gang-Setzen eines Dialogs - selbst, wenn der eine vor und der andere hinter der Kamera ist. Eines Dialogs, der alle Beteiligten - und damit meine ich auch den Zuschauer/Zuhörer - am Prozess des Sprechens, des Denkens, des Findens von Antworten teilnehmen lässt. Das ist ein gravierender Unterschied zu dem einfachen Frage/Antwort-Spiel, das man aus den üblichen Interviews kennt.
Ritardando (... in der Sprache des Musik: Verlangsamung)
Eine entscheidende Frage ist: Wie schaffe ich einen Raum – auch im übertragenen Sinne -, in dem dieses gemeinsame Nachdenken sich entfalten kann? Wie gelingt es mir, eine offene Situation zu erzeugen, in der eine Atmosphäre der Konzentration, der Selbst-Sicherheit, des Inoffiziellen entsteht, ein vertrauter Raum auch für Zögern, für Pausen, für das Suchen und Finden von Sachen, die zu sagen sich lohnen?
Zunächst einmal gilt es: sich selbst nicht zu wichtig machen, nicht zu breit, dem Set etwas eher Beiläufiges geben. Wenn das Team schon die halbe Wohnung umräumt, damit die Kamera eine angemessene Position hat und das Licht stimmt, dann ist schon etwas falsch gelaufen. Das Gegenüber muss sich wohl fühlen und nicht der Kameramann. In jedem Fall: Erst einmal zur Ruhe kommen.
Oft hilft mir dabei der Prozess des Kamera-Einrichtens selbst, die Tonproben etc., um dieses erste Ritardando zu erzeugen, das Herunterkommen von dem Druck und dem Stress, dem Offiziellen einer Interview-Situation.
Das Beiläufige
Häufig beginne ich das Gespräch dann mit irgendetwas Beiläufigen, einer Beobachtung, einer Sache auf dem Tisch, die mir auffällt, einer Zeitungsnotiz, etwas indirektem und überraschendem – jedenfalls nicht mit der erwarteten ersten „Haupt-Frage“. Wenn es gut geht, bekommt das Gespräch damit von Anfang an etwas Inoffizielles, Persönliches, Gesprächsweises.
Und vor allem: nicht nur die Hauptsachen. Scheinbare Nebensachen und Umwege sind erwünscht. Diese Umwege oder indirekten Einstiege sind mir auf die Dauer immer wichtiger geworden, führen sie doch oft zu einem anderen Ton, einem anderen Gestus im Gespräch.
Man kommt damit häufig sogar schneller und tiefer ins Eigentliche als mit einem konventionellen Anfang. "Man kommt von allen Seiten in den Wald", sagt ein baltisches Sprichwort.
Der Anfang und die Improvisation
Tatsächlich ist für mich der Anfang oft entscheidend. Wenn er gut ist, nimmt er einen an die Hand und führt einen weiter. Wie in der Improvisation im Jazz, werden mit den ersten Takten oft der Klang, der Gestus, der Rhythmus des ganzen Stückes festgelegt. Genauso ist es im Gespräch – aus allem Anfang ergibt sich etwas für das Weitere. Das gilt natürlich nur dann, wenn man bereit ist, sich auf diese Art Improvisation einzulassen. Wenn man darauf vertraut und offen dafür ist, dass sich etwas ergibt und entwickelt. Dafür muss man ein Gespür haben und den Mut, denn es ist natürlich immer ein wenig ein Arbeiten ohne Netz. Die Unsicherheit, dass das nicht gelingt, gehört immer dazu.
Dennoch habe ich zum Beispiel nie eine Liste von Fragen oder Themen beim Gespräch, die ich dann nur abhake. Das Wichtigste versuche ich mir vorher anzueignen und dann wieder in den Hinterkopf zu tun. Im Gespräch verlasse ich mich auf den Moment und auf meine Fähigkeit, zu reagieren.
Denn erst das ergibt ein Gespräch, wenn ich mich wirklich auf das einlasse, was vom Gegenüber kommt, wenn ich nach-frage, die Fragen nicht einfach eine nach der anderen abhake, sondern sie aus den Antworten aufnehme.
Ein Treiben-Lassen ist das in gewisser Weise und das muss man erst einmal aushalten, der Druck der Aufnahmesituation und der Ungewissheit , wie es jeweils weitergeht, ist natürlich immer da und nicht zu leugnen. Wichtig ist dabei aber auch: das Zentrum immer im Blick zu behalten. Das heißt, es muss (mir) um etwas gehen im Gespräch, sonst wird es schnell bloße Konversation. Auch die kann schön und geistvoll sein, aber darum geht es hier nicht. Ich muss wie gesagt dabei nicht eine Liste von Fragen haben – aber in jedem Fall ein Erkenntnis-Interesse. Ich muss etwas wollen, das mich trägt und bei der Sache bleiben lässt,
sonst kann ich mich in der Improvisation auch verlieren.
Störungen sind willkommen
Wenn irgend möglich, versuche ich aus einem Gespräch immer zugleich eine Situation, eine Handlung zu machen, d.h. Zeit, Ort, Umstände mitzuerzählen. Das ist ein wichtiger Unterschied etwa zu einem Interview, in dem es nur auf den sprechenden Kopf und das Gesagte ankommt. Die Menschen werden dabei oft zur Abstraktion, zum halbnahen Zeugen, zum bloßen O-Ton-Lieferanten.
Mich interessiert hingegen immer auch die Situation des Gesprächs, Anfänge, Pausen etc. Auch Störungen sind wie gesagt zugelassen. Ein Anruf etwa, eine Ablenkung, ein Besuch – all das erzählt etwas mit, was dem Gespräch eine andere Dimension, eine andere Anmutung verleiht. Das Gespräch rückt näher an eine filmische Handlung und weiter weg von einem journalistischen Interview, es wird – wenn es gelingt - zur Situation.
Im Film „THOMAS HARLAN/WANDERSPLITTER“ etwa sind selbst die Dialoge mit Thomas Harlan über den richtigen Kamerastandpunkt und die Gestalt des späteren Films mit im Film. Der Zuschauer ist dabei für einen Moment nicht nur Zuschauer, sondern wird selbst zum Teilnehmer an der Reflektion über die Entstehung eines Films. Außerdem wird der Ort des Geschehens, ein knapp 18 qm großes Krankenhauszimmer, mit seinen Einblicken und Ausblicken selbst zum Teil der Handlung.
Der Film, der sonst überwiegend aus Monologen von Thomas Harlan besteht, ist dadurch immer etwas anderes als ein Interview-Film, das Reden wird zur Handlung, der Mensch und die Sprache bekommen einen Körper und der Film wird trotz seiner äußerst knappen und streng eingesetzten Mittel zum Film statt zum Interview. Manche sagen auch: zum Spielfilm, der sich im Kopf des Zuschauers abspielt.
Die Qualität der Pause
Ebenso wie Störungen zugelassen und willkommen sind, schätze ich Pausen im Gespräch. Und setze sie bewusst ein. Wenn zum Beispiel nach dem Ende einer Ausführung ich nicht gleich die nächste Frage stelle, sondern erst einmal eine Pause lasse, erlaubt dies nicht nur einen Moment des Nach-Klingens des eben Gesagten in die Stille, es passiert auch häufig, dass das Gegenüber - da die Frage ausbleibt - für sich zu denken beginnt: was habe ich von mir aus noch zu sagen? Habe ich alles gesagt, habe ich es gut gesagt? usw.
Das Gegenüber beginnt dann vielleicht von sich aus etwas zu sagen, nach dem ich gar nicht hätte fragen können – und das sind dann die Momente, die ich in der dokumentarischen Arbeit besonders schätze, denn dann erfahre ich oft etwas Neues, mir bisher nicht Vorstellbares, nicht Abfragbares.
In einer solchen Situation erinnere ich mich zum Beispiel, begann ein Protagonist plötzlich ein Lied zu singen, statt weiter zu sprechen. Mir wäre das in dem Moment selbst nie in den Sinn gekommen, ich hätte auch nicht danach fragen können. Aber was für eine schöne Geste: Das Gegenüber übernimmt mit einmal quasi selbst die Regie und nimmt die Film-Erzählung in die Hand. Etwas Besseres kann im Dokumentarfilm gar nicht passieren.
Das Wahr-Nehmen
Wie oft hat man in alltäglichen Gesprächen das Gefühl, dass die Teilnehmer sich gegenseitig gar nicht mehr wahr-nehmen. Jeder ist mit sich beschäftigt, wartet jeweils darauf, bis der Andere fertig gesprochen hat, damit er selbst etwas sagen kann usw. Demgegenüber geht es im dokumentarischen Gespräch um die Fähigkeit, den Anderen wirklich wahrzunehmen. Im tieferen Sinne des Wortes Wahr-Nehmen, in seiner jeweiligen, ganz eigenen Wahrheit.
Diese Wahrheit ist nicht nur in der Dimension der Worte, sie ist eine Frage des Anschauens, des Raum-Gebens für die Andersartigkeit des Anderen, für dessen Grundstimmung, dessen Rhythmus etc. Wenn jemand das Gefühl hat, wahr-genommen zu werden, dann entsteht Vertrauen und Vertrauen ist die Voraussetzung dafür, vom Anderen etwas Wesentliches zu erfahren, überhaupt zugelassen zu werden in dessen Welt.
Der Rhythmus des anderen
Jeder Mensch hat dabei seinen Rhythmus, im Sprechen, im Atmen, im Denken. Es gehört zur Kunst des dokumentarischen Gesprächs, diesen Rhythmus des Anderen zu erspüren und mit seinem eigenen Rhythmus in Übereinstimmung oder in einen Dialog zu bringen.
Dies ist nicht etwas, was sich mit Worten fassen lässt, es ist eine Frage der Empathie, des Respekts, der Fähigkeit zur Resonanz, zum Mit-Klingen. Dieser Rhythmus spielt übrigens nicht nur in der Gesprächssituation eine Rolle, sondern - mindestens ebenso wichtig – in der späteren Montage.
Diese muss ein Gespür dafür entwickeln, was der Rhythmus der Sprache, der Diktion des Protagonisten ist und sie im Schnitt entsprechend behandeln: mit Pausen, Längen und Einschnitten. Auch hier wieder: die Sprache ist nicht nur Inhalt, sie ist zugleich Form und Körper und muss als solche respektiert werden. Andernfalls wird der Zuschauer nicht zuhören wollen, sich nicht einlassen.
Diesen Rhythmus gibt es übrigens im Schreiben auch, viele Autoren haben ihren eigenen. Und über Verständnis und Genuss beim Lesen entscheidet auch, ob ich mich in diesem Rhythmus einfinden, mich ihm überlassen kann.
Die Kunst des Ungefähren
Manchmal kann es sogar eine Qualität der Fragen sein, dass sie nicht zu präzise sind, dass sie eher etwas umschreiben oder manchmal sogar stocken, stecken bleiben. Einer meiner Kollegen, Volker Koepp, ist ein Meister in solchen angefangenen, nicht zu Ende geführten Fragen. Im Dokumentarfilm geht es oft darum, Fragen so zu stellen, dass sie etwas anstoßen und nicht in einem Frage/Antwort-Spiel münden. Etwas anstoßen, das sich dann von selber weiterentwickelt, eine Erzählung, eine eigenes Sprechen, ein Vor Sich Hin-Sinnen. Eine genau ausformulierte Frage provoziert dagegen im Regelfall eine genau ausformulierte
Antwort – und das Warten auf die nächste Frage. Dasselbe gilt für Fragen, die sich mit Ja oder Nein beantworten lassen, es entsteht daraus meist kein Gespräch oder ein sehr kurzatmiges.
Etwas Ähnliches gilt für die Formulierungskunst beim Fragen. Man darf nicht zu eitel sein und auf besonders gut ausformulierte Fragen setzen. Meist kommt dabei eher die Eitelkeit des Fragestellers zum Vorschein als dass es der Antwort oder dem Gespräch dient. Sogar ganz im Gegenteil: zuweilen mu ss man bereit sein, selbst beinahe als unwissend oder naiv zu erscheinen, damit das Gegenüber Dir helfen und die Dinge auf seine Weise sagen und erklären kann. In keinem Fall sollte der Frager klüger als der Gefragte erscheinen.
Die Kunst des Zuhörens
War bisher vor allem von der Art des Fragens, der Gesprächsführung die Rede, so soll jetzt die Rede von etwas sein, ohne das all die Fragekunst nichts nützt und nicht zum Ziele kommt: die Kunst des Zuhörens. Ich könnte sie auch nennen: die Fähigkeit zur Resonanz.
Vielleicht ist hier Kunst das falsche Wort, denn dabei geht es nicht um etwas Erlernbares, nicht um eine Kunstfertigkeit, sondern um eine Haltung, eine Fähigkeit, die vielleicht auch eng mit der Person des Autors, seinem Charakter, seiner Eigen-Art, vielleicht seiner Biografie verbunden ist. Das Zuhören-Können ist Ausdruck und Folge eines wirklichen Interesses für den Anderen wie für dessen Andersartigkeit. Das Zuhören-Können ist eine Fähigkeit, die Ernsthaftigkeit, Offenheit und Zugewandtheit voraussetzt.
Die Fähigkeit des Zuhörens, zur Resonanz ist eine Form der Empathie, einer – fast musikalischen – Art des Mitschwingens, die Fähigkeit zur Verständigung, zum Dialog mit dem Anderen auf den unterschiedlichsten Ebenen - nicht nur den sichtbaren oder hörbaren Ebenen. Eine Fähigkeit auch zum Sich-Selbst-Zurück-Nehmen und zur Zurückhaltung. Alles Dinge und Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft und in unseren Schulen nicht gerade obenan stehen.
Beim Zuhören, bei der Fähigkeit zur Resonanz geht es dabei mitnichten nur um Stillsein und den Anderen reden lassen. Das auch, aber zugleich geht es durchaus um eine aktive, interessierte Teilnahme an dem, was der Andere zu sagen hat, um was es ihm geht. Es geht zugleich um die Herstellung von Intensität.
Das Zuhören ist also tatsächlich eine Tätigkeit, eine aktive Zugewandtheit, die der Andere spürt und die erst jene gegenseitige Intensität erzeugt und ermöglicht, von der ein Film seine Wirkung erhält. Das wird auch nicht ersetzt durch jenen professionellen Zuhör-Gestus, den man aus dem Fernsehen kennt, der immer aufmunternd nickt, aber eigentlich nur darauf wartet, bis jemand zu Ende gesprochen hat und alles ‚im Kasten’ ist.
Diese Kunst des Zuhörens kann man nicht formalisieren oder mit einem Regelwerk umgeben. Und vielleicht wird deshalb diese wichtigste aller Voraussetzungen für jedes Gespräch, jeden Dialog, für all das oben Gesagte, so oft unterschlagen.
Ausblick: Das Zuhören als Formgebung
Zeit und Widerstand in der Montage
All das, was über das Zuhören und die Resonanz gesagt wurde, gilt ebenso und erneut für die Bearbeitung, die Montage. Sie muss all diese Qualitäten, von denen die Rede war: das Offene, das Inoffizielle, das Improvisierte, die Pausen, den Rhythmus des Anderen, das Geschehenlassen der Sprache bewahren, schützen und nicht nur das: sie muss sie konzentrieren, selbst neu hervorbringen, sichtbar und hörbar werden lassen. Im Falle von den Filmen, von denen hier Ausschnitte zu sehen waren, bedeutete das oft monatelange Montage-Arbeiten, obwohl es scheinbar doch um so etwas Einfaches geht.
Aber gerade das scheinbar Einfache ist oft das Schwierige: die Dramaturgie, die Abfolge, die Zusammenstellung, die Kürzung, der richtige Rhythmus der Sprache – all das ist tatsächlich Arbeit. Oder Kunst – wenn schon von Kunst die Rede ist.
Diese Kunst der Montage ist oft auch ein Reduzieren, ein Verzichten auf zu viel Schmuck und Beiwerk, auf jede Form von Illustration. Wenn man die Sprache als Handlung dem Zuschauer als Erfahrung ermöglichen will, dann muss man ihm auch eine Konzentration auf sie zumuten, selbst wenn das allen Sehgewohnheiten und üblichen formalen Standards widerspricht und ihm die gewohnten Mittel der Ablenkung vorenthält: Archivmaterial, formale Mätzchen etc.
Das ist zunächst vielleicht ungewohnt und irritierend und steht manchmal auch dem quantitativen Erfolg des Films im Wege. Es hält aber auf der anderen Seite - für diejenigen, die sich darauf einlassen – als Belohnung ein Abenteuer bereit, das Abenteuer, einem Menschen und seinen Geschichten, seinem Denken zu folgen, und zugleich das Abenteuer der Entdeckung der eigenen Phantasie, die das Gesagte in Bilder umwandelt und keine anderen Bilder mehr braucht. Dann wird Sprache tatsächlich zur Handlung.
Und noch ein Satz über die Zeit: nicht nur die Montage braucht Zeit, auch die Sprache selbst braucht im Film und in seinen Szenen Zeit, sich zu entfalten. In diesem Sinne ist es an vielen Fronten auch ein Kampf um Zeit, um Filmzeit, um Sendezeit und um die Zeit des Zuschauers, der sich darauf einlassen muss. Im Kino oder im Fernsehen. Darin haben diese Arbeit, diese Art von Filmen vielleicht auch etwas ganz und gar Zeit-Ungemäßes.
Sie sind in gewissem Sinne eine Art von Widerstand, Widerstand gegen die Zeitläufte, gegen die tägliche Beschleunigung, gegen das Verschwinden des mündlichen Erzählens, gegen das Verschwinden der Fähigkeit, zuzuhören und sich seine eigenen Bilder und Worte zu machen.
(Notizen nach einem Vortrag/ 29.9.08)