Die Farbe des Geldes. Dokumentarfilme zur New Economy.
Vortrag „Die Figur des Börsianers in Film und Literatur“
Von Wolfram Knorr
Dokumentation der dfi-Tagung vom 26./27. Januar 2001
Meine Damen und Herren,
als einigermaßen informierter Journalist für Film und populäre Literatur habe ich schon über zahllose Themen und Figuren – selbst die abwegigsten – geschrieben. Doch kein Thema scheint mir so schwierig zu sein, wie jenes über das zu sprechen ich hier vor ihnen stehe: Der Börsianer im Film und der populären Kultur.
Natürlich kann man es sich leicht machen und im Börsianer einfach den modernen Bösewicht sehen. Statt Tresore zu knacken, beutet er mit raffinierten Zügen eine Firma aus oder inszeniert Kursstürze. Aber genau da beginnt die Schwierigkeit: Wie setze ich derartige Schachzüge anschaulich um?
Im Gegensatz zu einem nächtlichen Einbruch, ist die Manipulation an den Finanzmärkten sicherlich für den Insider ein hochspannender Prozess, für den Laien kaum. Im besten Fall – wird ein solcher Vorgang in einem Film geschildert – starrt der Zuschauer auf einen Computer, über den Zahlen flimmern. Oder er wird Zeuge eines hitzigen Rededuells vor dem Computer, ausgetragen von dynamischen Männern in weißen Hemden, dunklen Hosen und locker sitzenden Krawatten. Aber an derartigen Szenen dürfte die wilde Mimik und zappelige Gestik fesseln, aber kaum die Ursache des Gebells.
Das zweite Problem entsteht durch den Zeitgeist. Börsengeschäfte haben längst ihren negativen Nimbus verloren. Im Gegenteil: sie werden allen empfohlen. Die Gier nach Geld, Gewinn, Reichtum wird ja nicht mehr als Gier disqualifiziert, sondern als eine Art seriöse Altersversorgung jedem nahe gelegt.
So gesehen, ist Oliver Stones berühmter Film «Wall Street» um den Finanzhai Gekko, geradezu überholt. Wenn er vor den Aktionären von der Gier spricht, die gesund sei, so beweisen die Fernsehanstalten mit ihren zahllosen Quizshows, dass er recht hatte. Der Millionär ist zum Synonym für Glücksverheißung geworden, der Drang an die televisionäre Geldorgel zur beseligenden Wallfahrt. Dort findet die Salbung des Egoismus statt.
Gekkos Auslassungen dagegen wurden noch bestraft. Das lässt ihn aus heutiger Sicht antiquiert erscheinen. Jede seriöse Zeitung oder Zeitschrift bietet längst den Finanzmärkten mehr Informationsraum als je zuvor, während die Kulturberichterstattungen immer mehr eingedampft werden. Das Geld hat seine negative Aura verloren, oder sagen wir besser: es wird nicht mehr tabuisiert.
Vielleicht klammert man sich aus diesem Grund an den alten Topos vom Raffzahn, der stürzen muss. Das erzwingt wenigstens eine Fallhöhe und schafft im Leser bzw. Kinozuschauer ein befriedigendes Gefühl.
Schon der gute alte Gangsterfilm spielte mit unserer Doppelmoral: Der Gangster wird einerseits zum Identifikationsidol und andererseits aber auch zum Sündenbock. Wir projizieren unsere heimlichen Neigungen auf sein illegales Treiben, genießen stellvertretend seine Aggression und haben dann auch noch die Genugtuung, dass er seiner gerechten Strafe nicht entgeht.
Das böse Schicksal, das den Gangster ereilt, befreit uns vom Erfolgszwang und Leistungsdruck. Wir sind beruhigt, dass wenigstens wir uns bescheiden und redlich ernähren. Aus diesem Grund sind wir letztlich auch die Glücklicheren. Auch Gekkos Schicksal verläuft exakt nach dem Schema der Gangsterfilme, weil eben jeder, der Werte und Maßstäbe ignoriert, ein Gangster ist.
Ein Künstler allerdings, der sich an diese Regel nicht hielt und der Zeit weit voraus war, war ausgerechnet einer, der im Kanon kultureller Wertschätzung sehr weit unten, wenn nicht sogar ganz unten angesiedelt war – wenigstens über längere Zeit: Sein Name ist Carl Barks und seine Schöpfung ist der inzwischen weltberühmte Onkel Dagobert, der reichste Mann der Welt. Sein Vermögen wird auf mehrere Fantastillionen geschätzt. Das Geniale an Barks war seine vollkommen ungehemmte, naive Betrachtungsweise.
Jeder kennt die umgangssprachliche Verwendung des Satzes: «Der Nachbar ist unwahrscheinlich reich, der badet doch im Geld».
Was die Umgangsprache mit diesem Bild meinte, setzte Barks unbekümmert um: Sein backenbärtiger Erpel badet tatsächlich in seinem Geld, mindestens einmal am Tag und findet es wunderbar, wie ein Maulwurf darin herumzuwühlen und sich die Taler auf den Kopf prasseln zu lassen.
Zugegeben, den Börsianern prasseln die Taler nicht auf den Kopf, aber das Bild vom Maulwurf, der zwischen den Kursnotierungen herumwühlt, ist ziemlich treffend.
Ich entsinne mich an die ersten Dagobert-Geschichten, die von den Eltern als unerhört und schamlos angesehen wurden und eigentlich nichts für Kinder seien. Diese hemmungslose Hymne auf die Raffgier, die Darstellung eines Geldbergs, der immer mehr wächst und den riesigen Tresor fast zum Bersten bringt, galt als obszön. Es verderbe vor allem den Charakter der Heranwachsenden.
Doch Barks war alles andere als ein kritikloser Befürworter eines nackten Kapitalismus. Erstens waren seine Stories natürlich Satiren auf das Goldene Kalb, um das alle herumtanzen, und zweitens baute er Sicherungen der Moral sehr wohl ein: Dagobert wird Tag und Nacht von der Angst geplagt, sein Geld verlieren zu können. Zwar verdirbt Geld nicht mehr den Charakter, aber dafür macht es nach wie vor
allein nicht glücklich.
Welch präzise Komik er dabei einsetzte, belegt eine Geschichte, in der seine Erzfeinde, die Panzerknacker AG, ihm tatsächlich sein ganzes Vermögen wegschnappen. Und zwar nicht in Form einer kriminellen Handlung – sie brechen nicht einfach ein – sondern indem sie ganz korrekt das Grundstück neben dem Stausee kaufen, in dem Dagobert sein Vermögen versenkt hat.
Mit riesigen Brennspiegeln, die sie in enormer Höhe schweben lassen, brennen sie Löcher in die hölzerne Staumauer, bis sie bricht und der ganze Zaster auf das danebenliegende Grundstück donnert. Der klassische Fall einer unfreundlichen Übernahme.
Doch da Dagobert dem Leser ans Herz gewachsen ist, gibt es natürlich ein Happy End. Und Carl Barks gestaltet es mit erstaunlich subversivem Witz. Dagobert erkennt die neuen Besitzer an, hat aber noch einen Wunsch, den die Panzerknacker ihm nicht verwehren können: Er möchte noch einmal, von einem Felsen in sein geliebtes Geld springen, um darin herumzuschwimmen und sich die Taler auf den Kopf prasseln zu lassen.
Die Panzerknacker sind verblüfft über den Alten, der noch einmal wie ein Delphin durch seine Taler saust. Voll tiefer Bewunderung bekennen sie (Zitat): «Raffinierte Brüder, diese Plutokraten», und springen hinterher. Doch im Gegensatz zu Dagobert knallen die Panzerknacker mit ihren Quadratschädeln voll aufs Hartgeld und sind außer Gefecht gesetzt.
Und die Moral von diesem Ende? Es bedarf eben doch hoher Geschmeidigkeit, um mit einem Millionenvermögen richtig umgehen zu können.
So schlicht die Geschichten sein mögen, es ist die Frontalität der Erzählweise, die entzückt, dieses wörtlich Nehmen, der unverkrampft spielerische Umgang mit ökonomischen Prozessen, Markt- und Preistheorien und der Fetisch Geld.
Carl Barks hatte es natürlich relativ leicht; er spielte im Parterre, war ein Comic-Künstler. Dort unten ist praktisch alles erlaubt. Aber in den höheren Stockwerken, bis in die Beletage hinauf, wo die Schriftsteller wirken und sich ähnlicher Themen zu widmen versuchen, wird`s kompliziert. Denn es geht ja darum, derartige Themen dramatisch darzustellen.
In Victor Hugos «Les Miserables» sagt einmal der ermittelnde Inspektor (Zitat): «Rechnungsbücher zum Reden zu bringen, liegt absolut außerhalb meiner Kompetenz.» Da sprach wohl der Autor selber.
Bei Alexander Dumas wunderbarem Abenteuerroman «Der Graf von Monte Christo», dessen Geschichte weidlich bekannt ist, habe ich mich immer gefragt, wie er den enormen Schatz eigentlich nach Paris schaffte, ohne von zahlreichen Neidern ausgenommen zu werden. Aber das alleine war es noch nicht. Zeitsprünge, Auslassungen, Ellipsen sind erlaubt und waren und sind nun mal ein probates Mittel, um die Geschichte vorantreiben zu können.
Verwirrender war vielmehr, wie er seinen Schatz in Paris anlegte. Vielleicht war er ein Spekulant. Aber wahrscheinlicher ist, dass sein Reichtum einen ganz anderen Grund hat: Er diente lediglich als Hilfsmittel, als eine Art dramatisches Trampolin, mit dessen Hilfe seine Rachefeldzüge erst den erregenden, zupackenden Schwung erhielten, um den Zuschauer emotional richtig in Wallung zu bringen.
Mit Geld kann man bekanntlich alles kaufen – vor allem auch einen Adelstitel. Denn der war sehr wichtig. Er schützt vor Unterstellungen, ein Neureicher zu sein.
Die Geldaristokratie (ob mit oder ohne Titel) ist ein heikler Klüngel. Sie schützt ihren Reichtum mit ethischen Begriffen, wie dem Wert. Wert nicht als messbaren, pragmatischen Begriff, sondern im aristotelischen Sinn, der von der protestantischen Ethik aufgegriffen wurde: Wohlstand als göttliche Gnade. Oder, wie es Max Weber sinngemäß formulierte: Der rastlos Arbeitende wird selig, der Faulpelz bleibt verdammt.
In Gustav Freytags Roman «Soll und Haben» wird das aufs Wunderbarste dargestellt. Die altehrwürdige Firma Schröter & Wohlfart erhält Konkurrenz von einem Aufsteiger, der – was sonst – ein Jude ist und Itzig heißt. Interessant an dieser Konstellation ist neben dem Antisemitismus, etwas anderes. Die Methodik, mit der die Firma Schröter & Wohlfart dargestellt wird. Sie nämlich sei mit Treue (der Arbeiter dem Arbeitgeber gegenüber), Fairness (Edelmut in der Bereicherung) und Liebe (die Arbeiter dem Patron gegenüber) zu Reichtum gekommen, während Itzig eben ein Emporkömmling ist.
Freytag spart einfach aus, dass seine Edelfirma genau wie jede andere ins kapitalistische Profitsystem eingebunden ist und sich folglich mit Konkurrenz herumschlagen muss. Also kann die nur diffamiert werden.
Aber lassen Sie mich noch einmal kurz auf Alexander Dumas zurückkommen: Sein hübsches Konzept vom schwerreichen Racheengel mäandert als «Monte-Christo-Syndrom» inzwischen durch alle möglichen Formen der Trivialkultur. So etwa in den Fernsehserien «Dallas» und «Denver-Clan». Dort gab es immer wieder Männer und Frauen, die verschwanden, um mit Wohlstand gesegnet und Racheglüsten im Bauch wieder zu erscheinen und für Unruhe zu sorgen. Der Neureiche war dabei immer der Zwielichtige.
Das schnelle Verdienen ist noch heute, selbst in der new economy ein bisschen anrüchig. Denken Sie nur an jene Aufsteiger, die schon wieder abgestürzt sind. «Das musste ja so kommen», ist der geflügelte Kommentar. Es geht zu schnell, das Vermögen wächst und reift nicht heran wie ein edler Wein, wie ein richtiger Wert.
Der erste Roman, der sich tatsächlich akribisch mit den Mechanismen der Geldspekulation auseinandersetzte, ist Emile Zolas «Das Geld». Saccard ist der Held, der uns Leser auf wirklich spannende Weise demonstriert, wie ein Vermögen entsteht: Unter geschickter Benutzung und Manipulation von Presse- und Regierungsapparat. Im Gegensatz zu Gustav Freytags Gartenlaube- Helden, wird hier mit naturalistischer Verve geschildert, dass jede Schweinerei eingesetzt werden muss, um reich und einflussreich werden zu können.
Auch wenn natürlich Saccard am Ende stürzt, verbietet sich der Autor moralische Kommentare. Auf den Roman trifft gleichfalls zu, was ich über die Gangsterfilme sagte: Man ist fasziniert von dem Bösewicht und gleichzeitig zufrieden, dass ihn das schlimme Schicksal ereilt.
Einmal heißt es (Zitat):
Oh, verstehen wir uns recht, er liebt das Geld nicht wie ein Geizhals, der einen großen Haufen davon haben und in seinem Keller verstecken will. Nein! Wenn es nach seinem Willen überall hervorsprudeln soll, wenn er es aus jedweder Quelle schöpft, so weil er sehen möchte, wie es ihm in Strömen zufließt, und wegen all der Genüsse, die es ihm verschafft: Luxus, Vergnügen, Macht... Was wollen Sie? Das liegt ihm im Blut. Er würde uns verkaufen, Sie, mich, sonstwen, wenn wir einen Marktwert hätten. Und er täte es ganz unbekümmert, der große Mann, der ja wahrhaftig der Dichter der Millionen ist: so verrückt macht ihn das Geld und lässt ihn zum Schurken werden, zum Schurken größten Stil.
Im Jahre 1928 verfilmte der französische Regisseur Marcel L'Herbier Zolas «L'Argent». 15 Kameras bot er auf und 1500 Statisten, um das aberwitzige Treiben in der Pariser Börse realistisch in den Griff zu bekommen. Mit riesigen Gestellen ließ er die Kameras unter die Börsenkuppel montieren, damit der Irrsinn der herumwuselnden Massen, ihre Geld- und Besitzgier als griffige Metapher nachvollziehbar wird.
Das lustigste und auch durchtriebenste Beispiel eines ganz modernen Entrepreneurs, der mit Tempo und Turbo den Erfolg sucht, stammt von Honoré de Balzac.
In seiner Komödie «Mercadet» steht ein Börsenspekulant im Mittelpunkt, der für seine Schwierigkeiten den ominösen Teilhaber Godeau verantwortlich macht, ohne dass der je auftaucht. Die Schuldner jedoch bedrängen Mercadet immer heftiger. Also greift Mercadet zu einer letzten, verzweifelten Intrige: Er lässt einen falschen Godeau erscheinen. Der Betrug wird leider aufgedeckt. Mercadet scheint endgültig ruiniert. In diesem Augenblick wird der echte Godeau angemeldet. Er ist mit einem märchenhaften Vermögen aus Indien zurückgekehrt. Das Stück endet mit Mercadets Ausruf (Zitat): «Ich habe Godeau so oft vorgeführt, dass ich nun wohl das Recht habe, ihn zu sehen. Gehen wir ihm entgegen.» Aber das Publikum bekommt ihn natürlich nicht zu Gesicht. Der Vorhang fällt.
Von diesem Godeau übrigens, glauben einige Theaterfachleute, habe sich Samuel Beckett für seinen Klassiker «Warten auf Godot» inspirieren lassen.
In unserem Zusammenhang aber ist die Balzacsche Figur des Godeau aus ganz anderen Gründen interessant. Mercadet benutzt ihn als phantomatischen Hoffnungsträger. Sein Godeau verkörpert gewissermaßen jenen abstrakten Vermögenswert, die Aktie, die hochgetrieben wird und fällt. Mercadet ist ein eleganter Blender, der – wie er am Ende sagt – «Godeau so oft vorgeführt» habe, dass er jetzt auch «das Recht habe, ihn zu sehen.»
«Das zwanzigste Jahrhundert», schrieb Stefan Zweig 1930, «blickt nieder auf eine geheimnislose Welt.» Aeussert sich bei den Spekulanten über die Start-up-Helden bis zu den Quizshow-Kandidaten, neben der Sehnsucht nach Vermögen und Macht auch unbewusst ein Hang, mit einer Risikobereitschaft wieder in Gebiete vorzustoßen, die erregendes «Neuland» versprechen? Ein quasi-religiöser Glaube an den Fetisch Aktie, der darwinistisches Imponieren im Dschungel der modernen Dienstleistungsgesellschaften vorgaukelt?
Der amerikanische Schriftsteller John Dos Passos schildert in seinem Roman «Manhattan Transfer», was für ein mysteriöses Revier die Börse ist, am Beispiel eines Kinderdialogs.
Drei verwöhnte Kids, die mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen, wollen «Blindekuh» spielen. Doch die Idee ist ihnen zu kindisch. Aufregender ist das Börsenspiel. Darauf entsteht folgender Dialog:
«Ich habe Aktien für eine Million Dollar zu verkaufen. Maisie ist der Haussier und Jimmy der Baissier.»
«Schön, was haben wir zu tun?»
«Die ganze Zeit herumlaufen und ein Geschrei machen... ich verkaufe ungedeckt» «Gut, Herr Makler, ich zahle fünf Cent pro Stück.»
«Nein, das darfst du nicht sagen...Du sagst sechsundzwanzigeinhalb oder so was Ähnliches.»
Die Börse als eine Art modernes Mau-Mau-Spiel, als atavistische Konfrontationsshow, in der mit Notizzetten umgegangen wird wie mit heiligen Fetischen. Das ist durchaus in ihrer heillosen Absurdität, ein optisches Faszinosum, weshalb nicht nur der Franzose Marcel L'Herbier in seinem Film «L'Argent» nach solchen Bildern griff, sondern schon 1922 Fritz Lang bei seinem Film «Dr. Mabuse, der Spieler». Mabuse ist Psychoanalytiker, der Kraft hypnotischer Fähigkeiten seinen Reichtum vergrößert, in dem er die Börse manipuliert und die Börsianer zu Marionetten macht.
Die Amerikaner, die keine Tragödie kennen, aber immer wieder versucht haben, das dramaturgische Prinzip der Tragödie am kleinen Mann zu vollziehen, haben nicht selten die Börse als Mittel für eine drastische Fallhöhe eingesetzt.
In Raoul Walshs Gangsterfilm «The Roaring Twenties» aus dem Jahre 1939, spielt James Cagney einen nervösen, krankhaft geltungssüchtigen Rinnstein-Napoleon, der sich nach den feudalen Riten und Usancen feiner Herrenklubs sehnt. Das schafft er auch, doch sein Gegenspieler, die neidische Hyäne Humphrey Bogart, legt ihn rein – mit Börsenmanipulationen.
Die Entwicklung solch zäher Aufsteigerfiguren mit ihrem radikalen Egoismus und ihrer Rücksichtslosigkeit folgte den Gesetzen Shakespearscher Königsdramen. Entscheidend dafür waren aber nicht mehr nur blutige Auseinandersetzungen, sondern eben auch die undurchsichtigen Machenschaften an der Börse, als Synonym für eine übergeordnete, undurchschaubare Macht.
Den Europäern dagegen war und ist die Börse eher ein Hort des seelenlosen Schreckens, das nicht mehr unbedingt dem Satan unterstellt wird – wie noch bei Fritz Lang – , sondern einer dubiosen gesellschaftlichen Kälte. Meisterhaft darin war der Italiener Michelangelo Antonioni in seinem 1962 entstandenen Film «L'Eclisse».
In eindrücklichen Bildern schildert er die psychischen Nöte einer jungen Frau, die von ihrem Geliebten wegdriftet und bei der Mama Halt sucht – ausgerechnet in der Börse.
Dort ist die Mutter, eine um ihre soziale Sicherheit bangende Kleinaktionärin, im verzweifelten Kampf um ihre Papiere gestrandet. Die schönste Szene kommt zum Schluss, wenn die junge Frau – Monica Vitti – sich von einem dynamischen Börsenhändler – Alain Delon – trennt. Nacheinander legt er die vorher ausgehängten Telefonhörer wieder auf. Es klingelt auf allen Leitungen, die Welt, für ein paar
Augenblicke illusionären Glücks aus dem Raum verbannt, bricht wieder los.
Es ist eine Welt atemberaubender Desintegration, eine Welt der Ellbogen- und Organisationsmentalität, des Erfolgs, der Leistung, des Pragmatismus und der Gefühlskälte. Antonioni fand dafür schöne Bilder: Das scheinbar sinnlose Herumgerenne der dunkel gewandeten Anzugmänner und eine Denkminute für einen verstorbenen Politiker: Eine Minute lang stehen die Börsianer wie abgeknipste Roboter schweigend in einer kalten, tempelartigen Marmorhalle.
Heinrich Mann und Bert Brecht haben in ihren Werken «Im Schlaraffenland» und «Die heilige Johanna der Schlachthöfe» die Börse in ihren literarischen und dramatischen Arbeiten miteinbezogen, doch das waren eher Ausnahmen. Die Börse blieb bis in die 68er Generation ein Versammlungsort des Bösen. Trotzdem identifizierten die Studenten das Grosskapital mit anderen Häusern, wie Banken, Verlage oder Kaufhäuser. Ganz einfach, weil es griffiger war: Das Kaufhaus als Tempel des Konsumrauschs, die Bank als Hort der Geldwechselei und die Verlage als Grossmanipulateure. Die Börse dagegen war weniger griffig – man konnte mit ihr nicht so richtig beeindrucken. Sie war zu abstrakt.
Im deutschen Film, der ohnehin auf Kriegsfuß mit der Realität steht, existieren Börse und Börsianer nicht. Die Pumpstation des kapitalistischen Systems ist ihnen ein zu meidendes grässliches Purgatorium.
Der Experimentalfilmer Hans Richter zeigt in seinem kurzen Film «Inflation» die Repräsentanten dieser Dämonie: Dicke Männer mit dicken Zigarren und schweren Pelzkragen auf ihren teuren Mänteln. So kennen wir sie alle und so sehen wir sie gern.
Antonioni hat mit Alain Delon einen neuen Typus geschaffen, der mit dem Klischee des Raffzahns nicht mehr übereinstimmt. Der junge Mann ist smart, wenn auch ein bisschen strizzihaft, aber alert, frisch, modern, cool. Die kalten, maskenhaften Züge im Gesicht allerdings weisen schon auf seinen erfolgreichen Nachfolger hin: auf Michael Douglas in «Wall Street».
Seine kantigen, zum Jähzorn neigenden Züge, diese kurz vor der Explosion stehende Physiognomie, erinnert an Emile Zolas Saccard aus seinem Roman «Das Geld» (Zitat): «Sein Leben zu verteidigen, das ist gar nichts, viel schlimmer ist es, sein eigenes und anderer Leute Geld zu verteidigen.»
Oliver Stones Gekko ist noch einen Schritt weiter: Anderer Leute Geld wird nur verteidigt, wenn`s in die eigene Tasche fließt.
Genau dazu werden die jungen Anleger in dem Film «Risiko» gestriezt und gebimst. Der Film zeigt, vielleicht sogar noch interessanter, weil lebensnaher als «Wall Street», die Gier junger Menschen, denen man weiß gemacht hat, dass sie Millionen verdienen können, wenn sie nur potentielle Kunden – wie Aerzte, Anwälte oder andere gehobene mittelständische Freiberufler – für Aktiennotierungen keilen, um sie über den Löffel zu balbieren, weil die betreffenden Aktien sozusagen Godeaumässig – wie in Balzacs Stück – gar nicht existieren oder wertlos sind.
Auch in diesem Film schreitet letztendlich die Moral ein. Ohne das geht es offenbar nicht, um einem haltlosen Trieb nach Fantastillionen Grenzen zu setzen.
Zola wusste, wie schwierig es ist, einen Roman übers Geld zu schreiben (Zitat): «Das ist kalt, eisig, bar jeden Interesses.» Genau darin liegt die Schwierigkeit dramatischer Gestaltungen.
Anfang der siebziger Jahre veröffentliche William Gaddis den voluminösen Dialogroman «JR» – was bitte nichts mit dem Kürzel von Mister Ewing aus «Dallas» zu tun hat – , in dem ein Elfjähriger über das Schultelefon und postalische Geldanweisungen, ein gewaltiges Finanzimperium zusammenträgt. Das ist natürlich eine Satire, aber so abwegig ist sie nicht, seit der Computer zur Schicksalsgöttin, zum
Orakel für derartig abstruse Vermögensanhäufungen wurde.
Gaddis hat diese Entwicklungschraube ins Virtuelle aufgezeigt.
Den einstige Kommunikationsguru Marshall McLuhan hatte mit seiner Behauptung schon recht: «Wir leben in einem einzig eingeengten Raum, der von Urwaldtrommeln wiederhallt.»
Einer der Trommler ist der Börsianer. Er hat nichts Romantisches mehr, aber genau daran klammert sich nach wie vor der Film, indem er ihn unentwegt dämonisiert. Das erlaubt einen leichten Zugriff für die dramatische Kunst.