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Sprache und Sprechen im Dokumentarfilm

Gespräch zwischen der Dokumentarfilmerin Karin Jurschick, Köln und Dorothee Wenner, Berlin über die Filme „Danach hätte es schön sein müssen“ und „Nicht mehr“

Dokumentation des Symposiums vom September 2008 in Köln

pdf„Ich finde Lücken wichtig ...“

„Danach hätte es schön sein müssen“ Deutschland 2001, 73 Min.
1974 bringt sich die Frau um. 1997 treffe ich den Mann wieder. Er wohnt immer noch in der Wohnung, in die er vor 41 Jahren mit der Frau und dem Kind eingezogen ist. Die Wohnung ist nahezu unverändert. Der Mann ist mein Vater. Danach und über die folgenden 2 1/2 Jahre hinweg mache ich mit einer DV-Kamera Aufnahmen. Ich beobachte den Vater, folge ihm sogar auf eine Schiffsreise durch die Karibik. Die Kamera ermöglicht Distanz, aber auch Nähe. (Text: Karin Jurschick)

„Nicht mehr“ Deutschland 2007, 30 Min.
Die Erinnerungen brauchen keinen Platz, aber die Körper und die Dinge. Was mache ich mit ihnen? Was bleibt nach dem Tod? - Ein letzter Film über den Vater.

Biographie Karin Jurschick
Geboren 1959 in Essen, Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften an der Universität Köln. Mitbegründerin des Internationalen Frauenfilmfestivals Feminale. Fünf Jahre Kulturredakteurin der Stadtrevue Köln. Ab 1995 Arbeit als freie Hörfunk- und Fernsehautorin (u.a. für den WDR Köln). Seit 2000 Filmprojekte in eigener Produktion. Für Ihre Filme erhielt sie u.a. den FIPRESCI-Preis Berlinale-Forum 2001; Prix Regard Neuf, Festival Visions du Reél 2001; Best First Documentary Award, Hot Docs, Toronto 2002; ARTE-Dokumentarfilmpreis der Duisburger Filmwoche2003; Adolf-Grimme-Preis 2004.

Gespräch:

D.W.: Der Film von Karin Jurschick bietet reichhaltigen Stoff, über das Thema des Symposiums zu reden. Wir zeigen den Anfang des Films, die ersten 11 Minuten. Zuvor von mir die Frage: Besteht die Komplexität im Sprechen in diesem Dokumentarfilm darin, dass es viele Sprecher gibt? Es gibt Deine Stimme, es gibt die Geschichte des Mannes, der Frau, des Kindes, es gibt also verschiedene Rollen und damit Nähe und Distanz in einer Familie im Kontext der deutschen Nachkriegsgeschichte. Karin Jurschick hat mir erzählt, dass schon einige dieser Texte da waren, bevor dieser Film entstand. Welche Texte bestanden, in welchem Verhältnis standen sie zum Film und zu den verschiedenen Sprechern in diesem Film?

K.J.: Die Frage, die ich mir damals stellte, war, wie ich eine Familiengeschichte erzählen kann, die dazu noch eine deutsche sein sollte. Ich hatte von Beginn an diesen Wunsch, dass ich den Film von dieser einen Familie, meiner Familie, loslöse. Bei der Überlegung, ‚Was ist denn Familiengeschichte?’ habe ich mich schließlich gefragt: ‚Wie wird Geschichte in einer Familie selber tradiert oder erzählt?’ Wenn überhaupt geredet wird, in vielen Familien wird ja nicht geredet, dann geschieht das mündlich. Mir ist dann aufgefallen, das geschieht in wiederholbaren, verdichteten Geschichten des Immergleichen: ‚Onkel Willi erzählt zum Fünfzigsten, dass wieder vor Jahren das und das geschah…’ Dass sich also die Wahrheit, die zu komplex ist erzählt zu werden, verdichtet in Miniaturen, in denen gar nicht mehr klar ist, stimmt das so, wie viel Phantasie ist da drin?
Mir schien es so, dass in diesen Miniaturen doch Wahrheit zu finden ist, die eine Familie ausmacht.
Die Geschichte, die ich von Anfang an schon hatte, ist die Erzählung meiner Oma, dass sie zum Ende des 2. Weltkriegs ausgebombt wurden und dass ihr Mann in das brennende Haus hineingelaufen ist und eben nicht ein Radio oder anderes von meiner Oma als sinnvoll Erachtetes gerettet hat, sondern unter Einsatz seines Lebens Kamm und Bürste gerettet hat. Diese Geschichte war für mich eine Initiation: das Retten von Kamm und Bürste. Das war mir sowohl für meine Familie als für die deutsche Geschichte ein wichtiges Symbol. Ich habe es so gelesen: das war das
Bedürfnis, in diesem Chaos Ordnung zu halten.
So kann man ja weiterfragen. Und das habe ich gemacht in diesem Film. Wie kann man im Chaos eines Selbstmordes die Instrumente finden, die das wieder ordnen? Ich will mich von meiner Familiengeschichte gar nicht distanzieren, sondern es war eine Frage für mich, was kann ICH retten in dieser Geschichte?
Es gab vor dem Film mehrere dieser Miniaturen, die ich lose notiert hatte. Ich habe dann in der Vorbereitung des Films vor allem mit meinem Vater angefangen zu sprechen, auf einer anderen Ebene, ihn zu begleiten, mit ihm zu reden.

Ausschnitt – 11 Minuten vom Anfang des Films

Publikumsfrage: Du hattest als Tochter der Frau eine persönliche Motivation. Wann ist der Punkt gekommen, wo Du einen Film für Zuschauer gemacht hast? Was hat sich dabei verändert bei Dir auf dem Weg von der Tochter zur Filmemacherin?

K.J.: Es gab irgendwann den Punkt, wo das erste Material da war und die Frage: ‚Wird das mehr oder bleibt das so?’. Als Filmemacherin habe ich mich dann entschieden, zuerst einen Antrag bei der kulturellen Filmförderung hier in NRW zu stellen. Wichtig war für mich, dass am Anfang direkt keine Redaktion involviert war. Diesen Prozess der Antragstellung und danach fand ich wichtig, nicht hemmend, sondern immer mehr zu überlegen, in die Form zu gehen. Die Frage zu beantworten: ‚Was will ich von mir zeigen, wie viel will ich zeigen? Wie will ich das erzählen und
wie anschlussfähig ist das an die Geschichte anderer Leute?’ Ich wollte, dass andere Leute darin etwas für sich sehen können und nicht nur dieses ‚Ich, Ich, Ich’, ‚Ich habe eine schreckliche Geschichte erlebt’. Und das ist überhaupt eine wichtige Frage und Entscheidung, wenn man Filme macht.
Schon sehr früh gab es das Interesse, dieses mit deutscher Geschichte zu verbinden. Ich hatte immer das Gefühl, dass die große Geschichte in der Familiengeschichte präsent ist: Mein Vater hat zwei Weltkriege erlebt, meine Mutter ist in einen hineingeboren.

D.W.: Dazu gibt es sicherlich eine Antwort in dem nächsten Ausschnitt, wo es genau darum geht, wie die Geschichte der Eltern in der deutschen Geschichte durch Bilder und weiteres Material kontextualisiert wird.

Ausschnitt – 12 Minuten

Diese zweite Sequenz finde ich bemerkenswert, weil Du Dich mit dem verwendeten Material weit von der Familiengeschichte entfernst. Wie bist Du vorgegangen: Du hast Material gesucht, das auf der visuellen wie der akustischen Ebene ganz nah an Deinem Thema bleibt?

K.J.: Ich bin ins Bundesarchiv gefahren und habe nach Maschinenbildern gesucht und zwar auch nach Menschen-Maschinen-Bildern. Das sind z.B. diese Gymnastikübungen, wie zwei Menschen miteinander verbunden sind, dass sie wie ein Rad funktionieren. Ich habe dann auch nach Textzitaten gesucht, den Wiederaufbau betreffend, dieses immer Weiter-Rollen. Und andere Bilder wie das Riesenrad, haben in mir Erinnerungen hervorgerufen. Das Riesenrad war im Anfang des Films zu sehen aus dem Fenster des Hotelzimmers, in dem sich meine Mutter
umgebracht hat.

Ich habe dann diese Maschinenwelt der Mutter, die ja auch besteht, gesucht, diese Haushaltsmaschinen, und dann wieder das Riesenrad, es entstehen visuelle Motive, eine Verknüpfung von Dingen, in denen ich was sehe. Aber der Impuls war ab von der spezifischen Familiengeschichte im historischen Material zu suchen ‚wie sich diese Männermaschinen und diese Frauenmaschinen darstellen’, so nenne ich das jetzt mal.

D.W.: Beim ersten Ausschnitt haben vielleicht einige gedacht, der Film ist kaputt. Es ist tatsächlich so, dass Du einige Sequenzen ohne Ton, als Tonloch stehen lässt. Über Sprache und Sprechen zu reden, heißt auch über das Schweigen reden. Und Du hast in der zweiten Sequenz offensichtlich weiteres, ganz anderes Tonmaterial verwandt?

K.J.: Das Tonmaterial kam wieder aus anderen Archiven, das gehörte nicht zu den gefundenen Bildern. Ich habe das kombiniert, es neu zusammengestellt, um neue Zusammenhänge zu schaffen, indem ich Textzitate aus Reden mit anderen Bildern zusammengebracht habe.
Und das Schweigen, also das Warten, das finde ich so wichtig, damit jeder ein paar Sekunden Zeit hat, zu schauen und sich zu fragen ‚Was ist das da?’, diese sich drehenden Menschen, ‚Was geschieht da?’ , statt sofort mit Informationen zu diesem Bildern belegt zu werden.
Ich finde Lücken wichtig, z.B. wenn plötzlich die Musik aussetzt, um diese große Lücke deutlich zu machen, dass es von meiner Mutter tatsächlich kein Bild gibt. Nur ein Passfoto und sie auch nicht wieder zu erwecken ist in diesem Film.

D.W.: Angesichts der vielen Tonebenen in diesem Film und ihrer Bedeutung für den Film, würde mich die Frage interessieren, weil hier im Publikum viele Dokumentarfilmer sitzen, die mit Redaktionen zusammenarbeiten: ‚Wie komplex darf ein Dokumentarfilm im Fernsehen sein?’ Dieser Film ist mit Fernsehmitteln zustande gekommen, gab es um den Film Auseinandersetzungen?

K.J.: Da hatte ich Glück, es gibt ja Redakteurinnen, die dies zulassen, das war bei diesem Film Inge Classen in der ZDF / 3sat- Redaktion. Da gab es keine Auseinandersetzungen, aber in einem zweiten Film gab es welche, da ging es um den Umgang mit Texttafeln.
Sehr wichtig ist auch die eigene Klarheit in der Arbeit mit einer Redaktion, und es ist wichtig, schon Förderung mitzubringen. Es bedeutet etwas, dass schon andere an den Film geglaubt und Geld gegeben haben. Das gibt einem selbst einen anderen Stand, als wenn man gleich zu einer Redakteurin geht und die dann das Projekt durchbringen muss im Sender. Für diesen Film waren diese Umstände wichtig.

D. W.: Der Film hat eine Festivalkarriere gemacht und etliche Preise gewonnen. Wie wird dieser Film wahrgenommen, wenn ich nicht Muttersprachlerin bin? Ich stelle mi vor, dass man dann ein wichtiges Element dieses Film, das ihn stark macht, dass man das nicht mitkriegt. Du bist mit dem Film gereist, was für Reaktionen hast du bekommen? Hattest Du selbst vielleicht das Gefühl, obwohl der Film Untertitel hat,
versteht man ihn eigentlich nicht mehr vollständig, wenn er in andere Landessprachen übersetzt wird

K.J.: Die Sorge hatte ich schon, da es ein sehr deutsches Thema, ein deutscher Film ist. Wie wichtig Untertitel sind, sieht man an diesem Film. Eine synchronisierte Fassung wäre für mich eine Katastrophe gewesen. ARTE hat ihn mit einer französischen Synchronisation ausgestrahlt, ich habe mir das nicht angesehen, vielleicht ist es ja ganz toll.

Etwas versteht man in anderen Ländern eben doch, z. B. den Sprachklang. Ich habe unterschiedliche Vorführungen erlebt: das Berührenste war in Israel, in Haifa. Da war ich aufgeregt, ich wusste nicht, wollen die das sehen, diese Auseinandersetzung mit diesem Vater. Und dann habe ich in einem Moment gesehen, da saßen ganz viele ältere Leute, alle deutschsprachig und mit deutschem Hintergrund. Es war eine überraschende Diskussion, weil es ein Teil ihrer Geschichte war und die war auch von positiven Erinnerungen geprägt.

In England, in Sheffield z.B., da ging es viel mehr um die Ästhetik, da war ich mir nicht sicher, ob alles verstanden wurde. Da gab es Fragen, wie ist das gemacht, wie kombiniert, und das geht offenbar auch.

D.W.: Wenn Du Dich von heute aus, es ist acht Jahre her, dass Du an diesem Film gearbeitet hast, von heute aus erinnerst, wie Du da mit Sprache umgegangen bist, würdest Du es heute anders machen?

K.J.: Nein, ich glaube nicht. Dieser Film war schon lange in meinem Kopf, und dann kristallisiert sich das in diese eine Form. Ich weiß gar nicht, ob ich noch mal so auf dem Punkt sein kann wie damals, weil das ein so langer Prozess war. Ich würde das heute wieder so machen.
In jedem Film bin ich mit Sprache anders umgegangen. Für mich gibt es kein Dogma. Das einzige was man haben muss, das ist ein bewusster Umgang mit Sprache. Und was ich auf jeden Fall vermeide, ist, wenn man nicht weiter kommt, zu sprechen. Das passiert häufig im Fernsehen. Man möchte inhaltlich viel erzählen und dann spricht man. Ich denke, ehrlicher wäre es, man sollte die Bilder abschalten und
nur den interessanten Kommentar hören.
Aber es gibt auch komplexe, politische Zusammenhänge, die sind schwer über Bilder darstellbar. Wie kann man das hinkriegen, außer dass man drüber spricht, und an diese Grenze bin ich gekommen bei dem Film „Die Helfer und die Frauen“.

Publikumsfrage: Wie schwer war das Schreiben der Texte für den weiteren Film? Hat das lange gedauert? Wie war die Arbeit am Text?

K.J.: Ich schreibe gerne. Was schwierig ist, ist das ständige Feilen am Text, das Weglassen des Überflüssigen, z.B. des Pathos, das Den-Text Immer-Wieder-Vornehmen. Das war nicht so schwer.

D.W.: Der weitere Film über Ihren Vater „Nicht mehr“ hält den Moment fest, indem er gestorben ist, wie er eingekleidet wird und parallel wird gezeigt, wie die Wohnung ausgeräumt wird. Da gibt es die Szene mit dem Vater am Ende des Films und dies ist eine extreme weitere Form von Sprache: Wie Sie mit dem Vater reden, mit seinen 91 Jahren, das Interview mit dem Vater im Rollstuhl. Das ist schon sehr an der Grenze. Wie hat sich im letzten Film das Gespräch mit einem sprachunfähigen Vater ergeben?

K.J.: Die Sprache ist in diesem kurzen Film reduziert, der Tod fordert das schon. Es gibt das Zitat in dem Film „Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen“. Das gilt angesichts des Todes tatsächlich. Ich habe die kleine in dem Film aufgenommene Szene mit meinem Vater (wieder-)gefunden.
Nach dem ersten Film mit ihm, gab es nie die Absicht, wieder einen Film zu machen. Er hat immer wieder gefragt, ob ich noch mal drehe. Und eines Tages hatte ich eine neue Kamera und bin zu ihm gegangen ins Altenheim und habe ihm die gezeigt und
gedreht.
In dieser Szene war soviel von ihm drin, auch wenn er schon dement war, das hätte ihm nicht gefallen, er wollte immer fit sein. Andere mochten die Szene nicht, ‚Wie kann man den Vater so zeigen?’ Und für mich ist da zu sehen, wie er alles richtig machen will, das war für meinen Vater so typisch, dieses Beharren auf der Präzision.
Für mich war das bewunderungswürdig.

Redaktion: Petra L. Schmitz, dfi