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Tag: Literatur

Kriegsbilder

Das synthetische Lichtspieltheater des Krieges
Vortrag von Mathias Heybrock

PDF Das synthetische Lichtspieltheater des Krieges

Wir haben in Harun Farockis Dokumentarfilm »Auge/Maschine« gerade etwas über den Traum der amerikanischen Militärs erfahren, den Krieg der Zukunft ohne amerikanische Soldaten zu führen. Deshalb die intelligenten Waffen, die sich selbst in Ziel steuern. Deshalb auch unbemannte Drohnen, die tendenziell die Aufklärung durch bemannte Flugzeuge ersetzen. In Zukunft sollen sie nicht nur aus höchster Höhe Daten sammeln, sondern auch in Bodennähe: Ganz so, wie es im zweiten Teil von »Stars Wars« bereits beschrieben wird, in dem kleine,ulkige Drohnen über den Boden flitzen und Darth Vader den Aufenthalt der Rebellen verraten - der Teil heißt übrigens »Das Imperium schlägt zurück«.

Erst diese Daten ermöglichen die Programmierung der intelligenten Bomben, damit sie die von ihnen gemachten Aufnahmen in Echtzeit mit den gespeicherten Koordinaten abgleichen und eine falsche Fluglinie sofort korrigieren können.

(Die Rakete muss programmiert worden sein, das heißt, mit den exakten Koordinaten ihres Zieles gefüttert. Im Anflug macht sie mit einer eingebauten Kamera Aufnahmen, deren Daten kontinuierlich mit denen des Programms verglichen werden. Bei Abweichung der fotografierten von den programmierten Daten nimmt die Rakete automatisch Korrekturen vor; bei Übereinstimmung wird das Ziel angesteuert. Dieses System ist für eine gelenkte Waffe dasselbe wie für die Navigationshilfe GPU oder für einen Roboter, der sich durch eine Fabrikhalle bewegen soll.)

Harun Farocki schreibt in einem begleitenden Essay, diese Verfahren seien keinesfalls neu, sondern alt. Die intelligente Bombe geht auf Laser gelenkte Waffen zurück, die schon im Vietnamkrieg erfolgreich eingesetzt wurden, die wiederum eine Fortentwicklung von Technologien darstellt, die bereits im Zweiten Weltkrieg zur Anwendung kamen. Das gleiche gilt für die Drohnen. Neu ist, dass uns diese Bilder vom Krieg erst jetzt ins Bewusstsein geraten. Das sei eine neue Bildpolitik. Hollywood dagegen zeige immer noch die alte Bilder.

Die Welle von aktuellen Kriegsfilmen scheint diese These zu belegen. Vom Zweiten Weltkrieg (»Windtalkers«) über Vietnam (»Wir waren Helden«) bis zu dem gescheiterten Einsatz von amerikanischen UN-Truppen in Mogadischu, der mit »Black Hawk Down« im Oktober in unsere Kinos kommt, wird der Krieg über Soldaten repräsentiert; sie erscheinen fast wie eine lang andauerndes Requiem auf die kämpfende Truppe, die zumindest in den Überlegungen mancher Strategen des »Cyberwars« keine Rolle mehr spielt.

Ich glaube trotzdem, dass Farocki's These nur bedingt richtig ist. Schon der Einsatz in Afghanistan zeigte ja, dass es ohne Bodentruppen nicht geht. Es geht nur eben darum, sie in Zukunft so gut wie möglich zu schützen. Zu diesem Zweck arbeitet das Militär an Trainings- und Ausbildungsprogrammen, die die Bodentruppen der Zukunft so gut es geht auf den Einsatz vorbereiten sollen. In diesem Sinne könnte man die Filme als eine flankierende Maßnahme sehen, die darum werben, nicht den Einsatz selbst, sondern das massenhafte Sterben zu vermeiden, dass uns ja alle drei genannten Filme in geradezu beeindruckender Weise vorführen.

Manöver und die Ausbildung der Soldaten finden längst zu großen Teilen an Simulatoren, also in virtuellen Realitäten statt, gleichsam in einem »synthetischen Lichtspieltheater des Krieges«. Dabei macht man sich die Erfahrung zunutze, dass das menschliche Zentralnervensystem keinen großen Unterschied zwischen einem realen Erlebnis und seiner Visualisierung macht.

Die Grundlagen der militärischen Simulatoren liefert die kommerzielle Unterhaltungsindustrie. Sie greift dabei auf Techniken und Support der Unterhaltungsindustrie zurück. Nicht in erster Linie derjenigen Hollywoods, sondern der Special Effects- und Virtual Reality Schmieden, über die inzwischen jedes Studio verfügt. Gleichfalls die Computerspielindustrie.

Das »Marine Corps Modelling Simulation Management« in Quantico/Virginia führte schon vor Jahren eine systematische Evaluation handelsüblicher Computerspiele durch. Geeignet ist etwa »Doom«, ein sogenannter Ego Shooter, der auf Grund seiner extremen Gewalttätigkeit in Deutschland und der Schweiz indiziert ist, also an Personen unter 18 Jahren nicht verkauft werden darf.
Das Spiel wird aus der subjektiven (Point-of-View) Perspektive eines Kämpfers gespielt, dessen eine Waffe umfassende Hand immer im Bild zu sehen ist (daher Ego Shooter). Ihm stellen sich auf einem unübersichtlichen Parcours Gegner in den Weg, die es zu töten gilt. Die militärische Version »Military Doom« wurde leicht abgewandelt. Wie in einer echten Gefechtssituation sind hier die für »Doom« typischen Allmachtsfantasien des Spielenden fehl am Platz. Ein User kann also nicht mehr einfach auf Tastendruck seine Waffe wechseln und findet auf seinem Weg durch den Parcours weder neue Munition noch sogenannte »Medipacks«, mit denen man seine Gesundheit wiederherstellen kann, wenn man von einem Gegner getroffen wurde. Er muss im Gegenteil mit seiner Feuerkraft haushalten und Vorsicht walten lassen, wenn er nicht ziemlich schnell sterben will.

Es waren vor allen Dingen Kostengründe, die das Militär auf kommerzielle Produkte zurückgreifen ließen. Das ist insofern eine bemerkenswerte Tatsache, als das Militär normalerweise federführend bei der Entwicklung von neuen Technologien ist und zivile Produkte zur kommerziellen Nutzung sozusagen als Abfallprodukte übrig bleiben. Inzwischen hat sich dieser Sachverhalt etwas relativiert. Die Armee arbeitet an eigenen Produkten, die auf der Computerspielmesse »Electronic Entertainment Expo« vorgestellt wurden, die im Juni in Los Angeles stattfand.

Eines dieser Spiele heißt »Operations«, in den USA freigegeben ab 13 Jahren, ebenfalls ein Ego Shooter, bei dem der User/Soldat zuerst trainiert wird. Man bekommt eine Einweisung in die militärischen Fachbegriffe, die etwa beschreiben, wie ein Platoon aufgebaut ist, welche unterschiedlichen Operationen das Lehrbuch vorsieht usf. Beim Kampfeinsatz geht es darum, eine Ölpipeline vor islamischenTerroristen zu schützen. Der Fun-Aspekt steht im Vordergrund, das Spiel soll einen Anreiz bieten und zugleich Werbung für die Armee machen. Dementsprechend bekommt man es demnächst auf CD in den lokalen Rekrutierungsbüros.
Man hat auch daran gedacht, die potenziellen neuen Soldaten mit den weniger glamourösen Aspekten des Berufslebens zu konfrontieren. Ein zweites Spiel »Soldiers« soll sie auf den monotonen Alltag in der Kaserne vorbereiten. Als Training der Schussschnelligkeit und des Reaktionsvermögens sind Spiele wie »Marine Doom« oder »Operations« auf eine ähnliche Weise zur Ausbildung geeignet wie Flug- oder Panzersimulatoren, in denen die Beherrschung von militärische Fahrzeugen eingeübt wird. Um die Soldaten jedoch auf eine komplexe Operation vorzubereiten, bedarf es einer aufwändigerer Technologie. Die bietet das so genannte »Mission Rehearsal Exerzise«; ein Virtual Reality (VR) Trainingssystem, in dem die Soldaten in der Atmosphäre einer umkämpften Stadt nicht nur mit Gegnern, sondern auch mit einer panisch, vielleicht sogar feindlich reagierenden Zivilbevölkerung konfrontiert sind.

Ein erstes Beispiel für ein solches System wurde unter dem Namen »The Bosnia Game« vorgestellt. Es soll Truppen auf einen Einsatz im Balkan vorbereiten und wurde nach dem Angriff der USA auf Afghanistan auch in der deutschen Presse ausführlicher vorgestellt.

Beispiel 1 und 2
Die graphischen Elemente von »The Bosnia Game« wurden am »Institute for Creative Technologies« (ICT) entwickelt; einem Joint Venture der Universität von Südkalifornien (UCLA) und der US Army, die das Institut finanziert. Für das ICT arbeiten Designer, aber auch Drehbuchautoren wie Steven De Souza (»Die Hard« 1 und 2) oder Regisseure wie John Milius, der die Kriegsfilme »Red Dawn« und »Flight of the Intruder« drehte sowie am Skript von »Apocalypse Now« mitschrieb. Sie wissen, wie man einen stringenten Handlungsstrang konstruiert, einen plausiblen, dabei durchaus widersprüchlichen Charakter entwirft, wie man mit einer visualisierten Geschichte Emotionen hervorruft. Schlagworte: Versimilitude (Wahrhaftigkeit); Immersive (Eindringen, Verschmelzen)

Michael Macedonia, leitender Wissenschaftler am »U.S. Army’s Simulation, Training and Instruction Command« (Stricom) in Orlando/Florida, an dem mit »The Bosnia Game« gearbeitet wird, sagt: »Je lebendiger und realistischer der Eindruck, den die Simulation bei den Soldaten hinterlässt desto eher wird er sich an die Situationen und seine Reaktionen in einer realen Gefechtssituation erinnern, wenn es darauf ankommt«. Dieses Virtual Reality - Theater des ICT schlägt alles, was kommerziell verfügbar ist, heißt es auf der Website. In Zukunft sollen die synthetischen Charaktere mittels KI so weit aufgerüstet sein, dass sie mehr können als einem einmal festgelegten Skript folgen. Auch das dient dem Anspruch, ihr Verhalten noch komplexer zu gestalten, so dass die Reaktionen für die User weniger antizipierbar sind.

Drittes Beispiel: weitere Aufgabenfelder des ICT, etwa die Entwicklung von Waffen der Zukunft. Man sieht schon, dass diese Zusammenarbeit nicht auf fünf Jahre beschränkt bleiben wird.

Die logische Fortentwicklung stellt die Einbindung solcher VR-Systeme in das »Simulation Network« (SIMNET) dar, das von der U.S. Army seit 1986 entwickelt wird. Es handelt sich dabei um aufwändige Hochgeschwindigkeitsnetze aus Glasfaserkabel, die auf enorme Datenmengen zurückgreifen können. Dank dieses Systems können zum Beispiel deutsche Panzermannschaften und Tornadopiloten mit amerikanischen Helikopterbesatzungen an einem gemeinsamen »Manöver« teilnehmen, ohne sich von den jeweiligen Stützpunkten entfernen zu müssen. Sie können dabei ein Szenario durchspielen, in dem es »an der ostdeutschen Grenze um die Abwehr eines Feindes geht, der über Waffen sowjetischer Bauart verfügt« — um einmal die abstrakte Redeweise der Militärs zu übernehmen, in die sie nach dem Ende des Kalten Krieges ihre durchaus konkreten Feindbildfantasien weiterhin kleiden. Die Rolle des Angreifers kann dem steuernden Computer oder aber anderen Truppenteilen überlassen werden. Das SIMNET vermittelt »die Komplexität einer Gefechtssituation besser als irgendein Truppenübungsgelände, außer dem NTC in der kalifornischen Wüste oder der vergleichbaren Anlage, die die Army den Israelis im Negev einzurichten geholfen hatte«, heißt es zu dieser Technik bei Tom Clancy.

In einem letzten Vernetzungsschritt schließlich werden die fiktiven Szenarios, für die professionelle Autoren und Regisseure Hilfestellungen geben, mit exakten Daten kombiniert. Wenn man sich also einen Konflikt in der Golfregion durchspielen will, kann der Computer, neben Erkenntnissen über demographische und klimatische Verhältnisse, auch auf genaue Kenntnisse des Terrains zurückgreifen, die in der »Battle of 73 Easting«, der größten Panzerschlacht des Golfkrieges gesammelt wurden. Dank technologischer Überlegenheit und Vorbereitung am Simulator gewannen die USA diese Schlacht innerhalb von 22 Minuten, obwohl ihre irakischen Gegner acht Jahre Kriegserfahrung hinter sich hatten, das Gelände kannten, und die amerikanischen Panzercrews noch nie in eine »richtige« kriegerische Handlung verwickelt waren. Anschließend wurden die Teilnehmer der Schlacht nach ihren Erfahrungen befragt, das Gelände mit Drohnen noch einmal überflogen und die gesammelten Daten ins SIMNET eingespeist, wo sie nun jederzeit abgerufen werden können.

In diesem militärischen Netzwerk verschmilzt also die avancierteste Form der Luftaufklärung durch Drohnen mit der Simulation von Gefechtssituationen. Das bedeutet »Hollywood« wird im Krieg allgegenwärtig — freilich verstanden nur noch als eine Chiffre für den riesigen Komplex der kommerziellen Unterhaltungsindustrie, die auch den Videospielsektor sowie die Computer- und Informationstechnologie umfasst. Die »gravierende Folge dieser derzeit betriebenen umfassenden elektronischen Verknüpfung aller Komponenten militärischer Organisationen«, schreiben Ute Bernhardt und Ingo Ruhmann in einem Text für die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden«, »ist die Abbildung des Schlachtfelds in einem Datenraum.«

In diesem Datenraum verschmelzen virtuelle und reale Bilder zu einem undurchdringlichen Gemisch. Krieg wirkt nun »wie ein Hollywoodfilm mit atemberaubenden Spezialeffekten. Nur eben keine computergenerierte Animation, sondern die rauhe Wirklichkeit ist« heißt es einmal erschreckt in dem Tom Clancy- Roman »Bär und Drache«. Doch diese Erkenntnis, also das Unterscheidungsvermögen von real oder virtuell, droht in den Datenräumen des Militärs tendenziell zu verschwinden. Das Bild, das sich ein Soldat vom Krieg macht, ist im Ernstfall dasselbe wie im Manöver im Simulator; eine völlig neue Qualität der Kriegsführung, die aus militärpsychologischer Perspektive sinnvoll sein mag, weil sich so Skrupel, Angst und Stressreaktionen reduzieren lassen und somit eine größere Effizienz möglich wird. Es führt damit auch zu der völligen Entwertung des Ernstfalls, die Jean Baudrillard schließlich davon sprechen ließ, der Golfkrieg habe gar nicht stattgefunden.

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