Summaries

Dokumentar-Film-Kultur
Teil 2: Eigensinnige Filme

Vortrag am 20. September 2018, 11.00 h

Hans Bernhard

Wahrnehmungssubversion Aufmerksamkeitsatomisierung

Noch bis vor Kurzem war die radikal-experimentelle Vorgehensweise Garantie für freies Handeln. Es ging darum Unsichtbares sichtbar zu machen, Undenkbares zu denken und Unvorstellbares zu beschreiben und wahrzunehmen. Heute gelten diese Prinzipien nach wie vor. Das Volumen und die Komplexität von Information und die Formalisierung bestehender und sich entwickelnder Datenformate erfordern aber ein neues Selbstverständnis von Tier-, (Mensch-) und Maschinennetzwerken, diesen globalen Organismen, in denen unser Leben vonstattengeht.

Anhand einiger Projekte der Netzkunst Avantgarde der 1990er, dem Aktionismus der 2000er und einiger research-basierter Projekte werden Überschneidungspunkte und Differenzen zwischen verschiedenen Medien, Herstellungs- und Vertriebsmethoden beschrieben. Aber auch eine veränderte Psychologie der Aufmerksamkeit und neurobiologische Forschungsergebnisse werden gesucht und gefunden. Ergänzt wird dies durch radikal neue Betrachtungsweisen von kuratierten Microstreams und atomisierten & algorithmisierten Medien und Formaten und deren Einfluss auf bestehende „Systeme“ der Wahrnehmung und der Kommunikation (Dokumentarfilm, Social Media, Games).

Vortrag am 20. September 12.00 h

Rüdiger Suchsland

Das Publikum - die fünfte Gewalt

Blödes Volk oder mündige Bürger? Der Verfall der Öffentlichkeit, die Macht des Publikums und der Eigensinn des Films

Alle reden vom Film. Kaum einer redet vom Publikum. Und die wenigen, die es tun, tun es falsch. Es gibt einige sogenannte Weisheiten des Filmemachens, die in der Regel unwidersprochen bleiben. Etwa: Das Publikum hat immer recht. Oder: Publikumsbeschimpfung ist falsch.

Ich werde in diesem Vortrag zeigen, dass das Publikum keineswegs immer recht hat. Wir müssen uns fragen, wo seine natürlichen Beschränkungen liegen und wo seiner Herrschaft Grenzen gesetzt werden müssen. Publikumskritik ist ein Lebenselixier demokratischer Verhältnisse, Publikumsbeschimpfung ist gelegentlich nötig und Publikumshörigkeit unbedingt falsch. Alle Vorstellungen von einer Berechenbarkeit des Publikums sind illusionär, alle Ideen eines wie immer gearteten "Publikumsvertrags" unsinnig.

Stattdessen stellt sich die Frage nach der Zukunft des Verhältnisses zwischen FilmemacherInnen und Publikum neu. In einer Epoche, die von einer neuen Sensibilität gegenüber den Zumutungen der Moderne geprägt scheint, und manche mit guten Gründen das Ende der Aufklärung fürchten, sollen die Chancen und Möglichkeiten, und der Charakter einer sinnvollen Filmbildung des in der Regel ästhetisch und historisch zu wenig gebildeten Publikums skizziert werden.

Ein verengtes Verständnis von Publikum, auch des Publikums von sich selbst, schadet dem Film und ist ein Hauptproblem der deutschen Verhältnisse. Die Fixierung auf das Publikum belegt vor allem ein gestörtes Verhältnis. Wer das Publikum nur als riesige Ansammlung von zahlenden Kunden behandelt, als manipulier- und steuerbare, aber heimlich gefürchtete Masse, und nicht als mündige Citoyens, wie es sich in einer res publica gehört, der erzeugt das Problem, das er vermeiden will.

Vortrag am 21. September, 10.00 h

Matthias Hornschuh

I compose. I reflect. I teach. I talk.

Musik ist Drama. Drama ist Narration. Narrative regieren die Welt; die digitale zumal, bedingen also Verantwortung. Aufklärung tut Not, dafür bedarf es sorgsamer Beobachtung und verstehender Teilnahme.
Ich komponiere für Medien, meine Musik wird üblicherweise zu einem Teil eines deutlich größeren Ganzen. Und doch habe ich keinen Zweifel an meiner Autorschaft, daran, dass ich Schöpfer dieser Klänge und Strukturen bin, dass diese Musik schon aufgrund meiner Empathie und Interpretation einen Teil meiner Identität in sich trägt - und sich letztlich auch dem größeren Ganzen genauso einschreibt. Trotzdem ist der Film selbstverständlich der Film Anderer. Das ist für manchen Musikautor durchaus ein Problem: Wie steht es um die Autonomie? Ist das noch Kunst? Und: Wer sind die "Anderen"?

Der (sozialversicherungs-)rechtliche Status Quo freischaffender Komponisten ist kompliziert. Als Autor KSK-Mitglied, als Aufnahmehersteller bzw. Produzent meiner Musik KSV-pflichtig, als Lizenzgeber steuerprivilegiert, als Tonstudiobetreiber gewerbepflichtig. Mitunter ist der Grat zwischen Künstler und Dienstleister bzw. Kaufmann schmal. Dabei sind gerade KomponistInnen in der abstraktesten aller Vergütungsarten gefangen: MusikautorInnen leben vollständig im Urheberrecht. 100% ihrer Einkünfte stammen aus Lizenz- und Nutzungsvergütungen - und damit vor allem von der GEMA. Die Musik hat einen hundertjährigen Erfahrungsvorsprung im Vergleich zur Verwertung in anderen Künsten mit dem Zukunftsmodell "kollektive Rechtewahrnehmung".

Wer GEMA-Mitglied ist, weiß, was es bedeutet, Anfeindungen ausgesetzt zu sein und gegen beinhartes, oft aggressives Unwissen anargumentieren zu müssen. Möglicherweise ist es diese Mischung aus Im-Recht-Leben und Sich-rechtfertigen-Müssen, die, speziell im Umfeld der Berufsverbände, zu einer Politisierung der Komponistenszene geführt hat - und zu einem wachen Blick aufs größere Ganze.

Vortrag am 21. September 2018, 11.00 h

Lilian Haberer

Tangible Files. Transformierbarkeit und Bildzirkulation in post-digitalen Umgebungen

Das Zirkulieren fotografischer Bilder wie auch ihre sich daraus ergebenden Behandlungsweisen erhielten bereits mit analogen Verfahren Aufmerksamkeit und eine theoretische Reflexion.

Dennoch lassen sich mit der Digitalisierung und ihren Umgebungen, in denen Bilddaten transformiert, geteilt und multipliziert werden, andere Funktionen und Verwendungen feststellen: So kommen fotografischen Charakteristika wie Erinnerbarkeit, Teilhabe und Zeugenschaft jeweils unterschiedliche Rollen zu, da sämtliche Daten der mit ihnen verbundenen Ereignisse unmittelbar abgeglichen werden können.
Die Verfügbarkeit von und der performative Umgang mit Bilddaten, die Unmittelbarkeit des Kommunizierens, aber auch ihre Flüchtigkeit erzeugen einerseits eine Verschiebung von den BildproduzentInnen auf die UserInnen und ihren taktilen Umgang mit den verfügbaren Bildern und Filmen an den Schnittstellen von Realität und Virtualität, andererseits kann über selbstperformative DIY-Praktiken jede Person Öffentlichkeit als UrheberIn / KünstlerIn generieren und differente Zuschreibungen erzeugen.

Jedoch erfordert die Zugänglichkeit und Transformierbarkeit tagesaktueller, ikonischer und künstlerischer Bilddaten sowohl einen kritischen Umgang mit ihrem Informations- und Kommunikationsgehalt, als auch eine Reflexion über die Rolle und Wertschätzung künstlerischer Verfahren.

Inwiefern haben veränderte Umgangsweisen mit Bildern und neue Plattformen für digitale Bildsequenzen Auswirkungen auf dokumentarische filmische Verfahren, ihre Distribution und ihre NutzerInnen? Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten gehen mit diesen veränderten Handlungen an Bildern einher?